DWJ 2016-08 - page 96

Wie jedes Gesetz arbeitet auch das Waf­
fenrecht mit entsprechenden Begrif­
fen, die aber teilweise nicht immer ohne
Weiteres aus sich heraus verständlich
sind. Im Gesetzesaufbau sind diese
Begriffe in der Anlage 1 Abschnitt 2
zumWaffengesetz erläutert. So heißt es
dort, dass jemand eine Waffe erwirbt,
wer die tatsächliche Gewalt darüber
erlangt. Eine Waffe besitzt, wer die tat­
sächliche Gewalt darüber ausübt und
eine Waffe überlässt jemand, wer die
tatsächliche Gewalt einem anderen da­
rüber einräumt.
Ein bekannter Begriff ist etwa das
Führen einer Waffe, welches dann vor­
liegt, wenn die tatsächliche Gewalt
über eine Schusswaffe
außerhalb der eigenen
Wohnung, Geschäftsräu­
me, des eigenen befrie­
deten Besitztums oder
einer Schießstätte aus­
geübt wird. Mit Verstö­
ßen gegen diese Verpflichtungen oder
Genehmigungen sind auch Strafsank­
tionen verbunden. Für den Erwerb, den
Besitz und das Überlassen einer Waffe
benötigt man eine Waffenbesitzkar­
te, für das Führen einer Waffe einen
Waffenschein.
In der Praxis kommt es aber dennoch
zu begrifflichen Verwechselungen oder
unzutreffenden juristischen Auslegun­
gen dieser Begriffe. Nachstehend wird
insbesondere der Begriff des „Überlas­
sens“ beleuchtet.
Mit Schlagring unterwegs.
Schon vor
mehr als 20 Jahren hat das Bayerische
Oberste Landesgericht einen Fall ent­
schieden und eine Abgrenzung zwi­
schen Besitz und Ausübung der tatsäch­
lichen Gewalt vorgenommen. Auf dem
Weg in den Urlaub hatte eine Person ein
über 20 Jahre altes Reiseetui in seinen
Koffer gelegt und war bei der Kontrol­
le im Flughafen aufgefallen. Denn in
diesem Etui befand sich ein Schlagring.
Für den Besitz dieses verbotenen Ge­
genstandes hätte er eine Ausnahmege­
nehmigung des BKA besitzen müssen.
Trotzdem erfolgte ein Freispruch, wenn
auch erst in zweiter Instanz, weil das
Obergericht festlegte, dass nicht allein
die Ausübung der tatsächlichen Gewalt
an diesem Reiseetui und die Mitnahme
den Tatbestand des unerlaubten Besit­
zes darstelle, sondern hierzu auch das
Bewusstsein des Besitzes gehört.
Da der Reisende keine Kenntnis
mehr von dem Verbleib des Schlagrings
hatte, konnte ihm das Bewusstsein des
Besitzes nicht nachgewiesen werden.
Waffe verloren.
Ein weiterer Beispiels­
fall, der sich gelegentlich ereignet,
ist das Verlieren einer
Schusswaffe. So kann
einem Jäger auf der Jagd
einmal eine Kurzwaffe
aus der Tasche oder einem
Behältnis fallen. Sport­
schützen ist es etwa pas­
siert, dass sie ihren Waffenkoffer auf
dem Dach des Autos ablegen und dann
beim Losfahren vergessen, den Koffer
zuvor im Auto zu platzieren.
In dem hier besprochenen Fall, in
dem ein Strafbefehl gegen einen Waf­
fenbesitzer erging, wurde diesem vor­
geworfen, seine Schusswaffen Nicht­
berechtigten überlassen zu haben.
Es lag die Situation zugrunde, dass
der Sportschütze nach Verlassen des
Schießstandes zwei Kurzwaffen in ei­
nem entsprechenden Behältnis auf dem
Autodach abgelegt hatte und losgefah­
ren war. Beide Waffen wurden dann von
einem unbeteiligten Dritten gefunden
und bei der Polizei abgeliefert.
Zutreffend könnte man annehmen,
dass hier eventuell Verwahrungsvor­
schriften oder Sorgfaltspflichten des
Waffenbesitzers beim Umgang mit
seinen Schusswaffen verletzt worden
wären und hieraus eventuell eine Un­
zuverlässigkeit abzuleiten wäre.
So entschied das Oberverwaltungs­
gericht Hamburg in einer Entscheidung
im August 2015 in einem ähnlichen
Fall. Ein Waffenbesitzer, der sich mit
seinem Fahrzeug auf die Jagd begeben
wollte, hatte seine Kurzwaffen in einen
Waffenkoffer gepackt, diesen kurz zum
Rangieren auf dem Gehweg abgestellt,
dann aber den Waffenkoffer vergessen
und das Versäumnis erst bemerkt, als er
schon mehrere Kilometer gefahren war
und sich auf der Autobahn befand.
Der Waffenbesitzer war dann zum
vorherigen Stellplatz des Fahrzuges zu­
rückgekehrt, ohne den Koffer dort vor­
zufinden. Er erstattete darauf bei der
Polizei Anzeige, informierte aber nicht
gesondert die Waffenbehörde. Die Waf­
fe wurde am nächsten Tag von einem
Finder bei der Polizei abgegeben.
Annahme der Unzuverlässigkeit.
Das
Oberverwaltungsgericht ging in diesem
Fall davon aus, dass ein Widerruf waf­
fenrechtlicher Erlaubnisse wegen Un­
zuverlässigkeit immer ein Fehlverhal­
ten voraussetzt, das entweder bewusst
erfolgt oder bei dem ein übergroßes
Maß an Unvorsichtigkeit zu Tage tritt.
Der Waffenbesitzer wandte ein, dass es
sich hier nur um ein einmaliges Augen­
blicksversagen gehandelt habe. Die an
ihn gestellten Voraussetzungen würden
„das Irdische verlassen“.
Wollte man, so der Waffenbesitzer
weiter, jedes einmalige unbewusste
Fehlverhalten unter Verweis auf den
hohen waffenrechtlichen Sorgfalts­
maßstab sanktionieren, so würde man
einen „Jäger und andere Waffenbesit­
zer zu einer Überfigur stempeln, die
gottähnlich fehlerfrei sein müssten“.
Mit diesen starken Worten erzielte
der Waffenbesitzer jedoch keinen Er­
folg. Selbst wenn es sich hier um einen
einmaligen und vorsätzlichen Ver­
stoß gegen § 36 Absatz 1 WaffG han­
deln würde, bliebe doch die Annahme
der Unzuverlässigkeit, weil auch diese
Ein Sportschütze verlor seine beiden Waffen und erhielt zudem einen Strafbefehl von der Staatsanwalt-
schaft, da er Waffen einem Finder überlassen hatte und sich somit strafbar machte. Der Ausgang des
Verfahrens steht noch nicht fest, über den Begriff „Überlassung“ lässt sich aber schon informieren.
Anwalt nötig
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 DR. JUR. HANS SCHOLZEN
Waffenkoffer
auf dem Autodach
liegen gelassen
und losgefahren
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Rechtsprechung
Über die Tücken der Überlassung vonWaffen
Das Magazin für Waffenbesitzer
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