Eigentlich sollte man annehmen, dass es beim heutigen Kenntnisstand bei europäischen Militärpistolen
der Vorderladerära keine weißen Flecken mehr gibt. Dennoch trifft man immer wieder auf Stücke, die
sich einer exakten Identifizierung trotz ausreichend vorhandener Stempel und Marken entziehen.
Weißer Fleck
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UDO LANDER
Es gibt sicherlich keinen Sammler eu-
ropäischer Ordonnanzpistolen des 18.
und 19. Jahrhunderts, der den hier ge-
zeigten Pistolentyp nicht schon einmal
irgendwo gesehen hat. Insbesondere
ihr „englisches“ Aussehen mit dem für
das Inselreich vermeintlich typischen,
flachen Kolbenabschluss mit fest ste-
hender Riemenöse lässt viele Sammler
die Nase rümpfen – schließlich sind
die Pistolen britannischer Produktion
hier bei uns - aus wel-
chen Gründen auch im-
mer - eher verpönt. Aus
diesem Grund bleiben
diese Pistolen meist völ-
lig unbeachtet und ge-
hen, wenn überhaupt, in aller Regel nur
für kleines Geld weg. Wenn sich dann
aber ein Sammler die Mühe macht, die
Pistole näher zu betrachten und dann
auch noch Lütticher Beschau- und
Beschussstempel entdeckt, dann ist
das Interesse für ein derartiges Stück
schlagartig im Keller: Belgische Or-
donnanzpistolen rangieren bei deut-
schen Sammlern noch weit unter den
Waffen von jenseits des Kanals. Warum
das so ist, weiß niemand.
Unbekannte Vorgeschichte.
Unzwei-
felhaft ist, dass die mit dem Lütticher
Stempel „ELG“ im Oval gekennzeich-
nete Pistole in Lüttich gefertigt wurde.
Das ist aber auch das einzige, was man
mit absoluter Bestimmtheit feststellen
kann. Weder ist der Hersteller mit den
Initialen „CD“ mit wünschenswerter
Sicherheit zu eruieren, noch ist be-
kannt, für welchen Zweck und in wes-
sen Auftrag dieses Pistolenkontingent
produziert worden ist.
Tatsache aber ist, dass die Pisto-
le Stempel aufweist, die erst ab 1853 in
Belgien verwendet wurden, dies ist zum
einen das verschlungene
„EL“ (Epreuve Liègeois)
in Kursivschrift und der
Lütticher „Perron“. Beide
Stempel wurden in Bel-
gien mit dem Beschuss-
gesetz von 16. Juni 1853 eingeführt und
mussten ab diesem Zeitpunkt verbind-
lich verwendet werden.
Interessanterweise bezeichnet man
diese Pistolen in Belgien, eventu-
ell auch in Holland, als „holländisch/
belgische Marinepistole 1815“, eine Be-
zeichnung, die man auch auf einer bel-
gischen Website im Internet so finden
kann. Allerdings konnte man selbst auf
hartnäckige Nachfrage weder erklären,
woher diese Bezeichnung stammt, noch
konnte man irgendeine verlässliche
Quelle dafür nennen. Auch die Titulie-
rung „Marinepistole“ scheint abwegig,
da weder ein marinetypischer Gürtel-
haken noch irgendwelche Stempel vor-
handen sind, die auf einen Gebrauch
bei der belgischen oder holländischen
Marine hinweisen würden. Auch in
der zahlreich zur Verfügung stehen-
den Literatur zu belgischen und hol-
ländischen Ordonnanzwaffen ist diese
Pistole nirgends erwähnt, geschweige
denn abgebildet.
Unzweifelhaft jedoch ist, dass zu-
mindest eine Pistole dieses Typs be-
kannt ist, die auf dem Schaft und am
Schlossblech den holländischen Ab-
nahmestempel „W“ unter Krone trägt,
der belegt, dass diese Waffe während
der Regierungszeit eines der drei hol-
ländischen Könige mit dem Namen
Willem vom niederländischen Staat ab-
und übernommen worden ist. Da die
Regierungszeit mit König WillemI. im
Jahr 1815 begann und erst 1890 mit Kö-
nig WillemIII. endete, ist trotz Stempe-
Wenig Interesse für
Stücke aus Britannien
und Belgien
1
2
2
1
Der Abzugsbügel ist im vorderen Teil im
Schaft verstiftet und am Kolben mit ei-
ner Schraube fixiert. Das entspricht der
Bauweise bei der englischen Light Dra-
goon Pistol der napoleonischen Ära
2
In der Draufsicht fallen insbesondere die
völlig glatte, schmucklose Laufoberseite
und das rund endende Schwanzschrau-
benblatt auf. Die Pistole besitzt keine
Visiereinrichtung.
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Ordonnanzwaffen
Marine(?)-Pistole aus Lüttich
Das Magazin für Waffenbesitzer
sammeln
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