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von Franz Keck

Rückgrat

Die Bundeswehr muss zum „Rückgrat der konventionellen Verteidigung Europas“ werden. Zu diesem Schluss kommt Generalleutnant a.D. Heinrich Brauß. Spätestens seit 2014 sollte klar sein, dass sich die weltpolitische Sicherheitslage geändert hat. Unsere Anpassung an die Lage geschieht jedoch weit zu langsam.

Dass mit dem Ende des Kalten Kriegs nicht der Weltfrieden „ausbrach“, war spätestens nach dem Ersten Golfkrieg und Beginn der Jugoslawienkriege ab 1991 klar. Trotzdem wurde vor allem im Westen, und hier am stärksten in der Bundeswehr, eifrig abgerüstet. Parallel zur Abrüstung wurden die Armeen auch, unter Vernachlässigung eines klassischen, breiten militärischen Einsatzspektrums, einseitig auf Stabilisierungsmissionen im Kampf gegen irreguläre und technisch unterlegene Gegner optimiert.Weiterhin war man völlig blind für das sich spätestens ab der Putin-Ära zunehmend autoritär und aggressiv anti-westlich gebärdende Russland sowie die aufstrebende autoritäre Supermacht China.

So wurde man mit der russischen Annektion der Krim und asymetrischen und subversiven Methoden Russlands und Chinas auf dem falschen Fuß erwischt.Daraufhin fand endlich ein Umdenken statt, dass sich im Weißbuch von 2016 niederschlug: Landes- und Bündnisverteidigung wurde wieder Schwerpunkt. Und seitdem? Tut sich auf unserer Seite viel zu wenig. Dabei steht die NATO aktuell vor enormen Herausforderungen.

Diese erläuterte Generalleutnant a.D. Heinrich Brauß sehr treffend in einem Beitrag für die Zeitschrift „Die Bundeswehr“, dem Magazin des Deutschen BundeswehrVerbandes. Brauß war von 2013 bis 2018 Beigeordneter Generalsekretär der NATO für Verteidigungspolitik und Streitkräfteplanung.So sei die Zeit, in der die USA als „Gütiger Hegemon“ für die Sicherheit der Nato garantierte, endgültig abgelaufen, da Amerika parteiübergreifend China als die aktuelle Hauptbedrohung sehe und sich dementsprechend auch unter Biden kaum etwas an der bisherigen US-Außenpolitik ändern wird. Um glaubhaft „klare Kante“ gegenüber China zeigen zu können, werden sich die USA weiterhin auf den Pazifik fokussieren und daher ihre Präsenz im nahen Osten und Europa verringern. Zudem erwartet auch Biden verstärktes militärisches Engagement der Europäischen Staaten.

Dies ist auch dringend notwendig, da Russland nicht geschlafen hat: Sowohl konventionell als auch atomar und in Sachen hybride Kriegsführung ist Russland ein ernstzunehmender Gegner.Unter Bruch des INF-Vertrags verfügt Russland heute wieder über moderne Atomare Mittelstreckenraketen, mit denen Mitteleuropa bedroht werden kann. Das die USA aus dem INF-Vertrag austraten war daher auch nur logisch. Weiterhin besitzt Moskau diese Waffen nicht nur, sondern übt deren Einsatz im Rahmen eines Regionalen Kriegs gegen die NATO alle zwei Jahre bei der Großübung ZAPAD. Am wahrscheinlichsten ist ein solcher regionaler Krieg im Baltikum, wo Russland beispielsweise innerhalb weniger Tage 60 000 Mann an die Grenze verlegen kann.

Wahrscheinlicher als ein offener Krieg jedoch ist ein hybrides Szenario wie in der Ukraine. Dort lässt man den Quantitativen Großteil der Kampfhandlungen von Milizen erledigen und unterstützt diese logistisch sowie, vor allem wenn es für die Milizen eng wird, mit eigenen Truppen, Drohnen und auch massiven Artillerieschlägen. Parallel dazu werden subversive Kampagnen und Desinformation betrieben sowie Cyberattacken ausgeführt. Bisweilen werden auch die genannten Fähigkeiten kombiniert: Russland ist sehr gut darin, elektronische Geräte zu orten. So wird berichtet, dass die Russen Ukrainische Truppen oftmals via ihrer elektronischen Signale orteten und daraufhin ihre Position mit Artillerie angriff. Das pikante: Oft wurden diese Angriffe den georteten Soldaten unmittelbar zuvor via SMS angekündigt. In zukünftigen Kriegen wird die Minimierung der eigenen elektromagnetischen Signatur und Aufklärung derer des Gegners von enormer Wichtigkeit sein. Allgemein bleibt Russland sich treu und setzt zu großem Erfolg auf massive Artillerieschläge: Am 11. Juli 2014 wurden zwei mechanisierte Bataillone der Ukraine, die bei Zelenopillya gelagert hatten, von Drohnen aufgeklärt und anschließend von Artillerie zusammengeschossen.

Daher müsse der Westen über eine glaubwürdige Verteidigungsfähigkeit verfügen. Die Grundlagen dafür würden in Form der in den betreffenden osteuropäischen Staaten stationierten Battlegroups bestehen: Greift Russland eines dieser Länder an, steht es automatisch mit der gesamten NATO, inklusive deren Atommächte, im Krieg. Allerdings muss die Risikobeurteilung der Gegenseite weiterhin zu dem Schluss kommen, dass dieser Krieg nicht oder nur unter inakzeptablem Schaden für die eigene Seite gewinnbar ist.Dafür müssen die NATO-Streitkräfte sowohl qualitativ als auch quantitativ weiter ausgebaut werden und Lösungen für aktuelle Probleme, wie sie etwa durch Drohnen, Langstrecken-Präzisionswaffen, moderne Aufklärungstechnologie und weitreichende Luftabwehrsysteme entstehen, gefunden werden. Auch auf die schnelle Verlegbarkeit der Kräfte kommt es an. Gerade hier hapert es jedoch, die Amerikaner können dies noch am ehesten, orientieren sich jedoch verstärkt in Richtung China, während Großbritannien eine Reduktion regulärer Kräfte und Verstärkung ihrer Cyberwarfare-Fähigkeiten vorsieht und sich Frankreich nach Süden orientiert.

So würde sich also Deutschland, wirtschaftsstark und logistisch günstig zentraleuropäisch gelegen, als neues konventionelles Rückgrat der europäischen NATO-Staaten anbieten und sollte dementsprechend die Lehren aus den Kämpfen in der Ostukraine und dem Kaukasus ziehen und anwenden.

Bildquelle: Bundeswehr

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