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Die Farce rund um das G36

G36 und kein Ende. Nachdem am 30. März Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen erneut von mangelnder Treffgenauigkeit des Sturmgewehrs von Heckler & Koch berichtete, steht das Gewehr wieder in der Kritik, der Hersteller wehrt sich mittlerweile öffentlich. Eine Chronologie der Ereignisse.

Was ist nur los mit dem G36? Im Kreuzfeuer der Kritik rund um das Standard-Sturmgewehr der Bundeswehr wurde am 30. März 2015 der nächste Akt eröffnet: „Das G36 hat offenbar ein Präzisionsproblem bei hohen Temperaturen, aber auch im heißgeschossenen Zustand“, hatte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) der Presse erklärt. Alter Wein in neuen Schläuchen? Rund 13 Monate zuvor, am 21. Februar, hatte die Bundeswehr vermeldet „Das Gewehr G36 ist technisch zuverlässig und ohne Mängel. Es erfüllt vollumfänglich die Anforderungen der laufenden Einsätze und des Grundbetriebs der Bundeswehr.“

Um es vorweg zu nehmen: Die eingangs gestellte Frage kann so nicht beantwortet werden. Fest steht jedoch, dass der „Krimi“ rund um das 1996 eingeführte Gewehr, von dem der Hersteller Heckler & Koch (HK) mittlerweile rund 176.000 Stück an die Bundeswehr geliefert hat und das seit fast 20 Jahren auch bei internationalen Streitkräften und Spezialeinheiten Reputation genießt, mittlerweile zur Farce geworden ist. Eine komödiantische Schlagseite, die eigentlich keiner der Beteiligten lustig findet. Am wenigsten Hersteller HK, der jetzt eine unabhängige kriminaltechnische Untersuchung aller G36-Versuche der Bundeswehr durch das Bundeskriminalamt fordert.

Das G36 steht nun schon seit einigen Jahren unter Beschuss, seit im Herbst 2013 Einsatzberichte aus Afghanistan aufgetaucht waren, die dem Gewehr eine mangelnde Treffsicherheit attestierten. Es folgt eine unabhängige Untersuchung des Ernst-Mach-Instituts der Fraunhofer-Gesellschaft, im Auftrag des Verteidigungsministeriums. Ergebnis: Als Ursache für die schlechteren Schießergebnisse wird die Munition des Herstellers MEN ausgemacht, die Zinkablagerungen im Lauf verursacht.

Der nächste Akt sollte aber folgen: Schon im Mai 2014 gibt der Bundesrechnungshof neue Tests in Auftrag, bei denen wiederum herauskommt, dass das Gewehr schuld sei. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vertagt eine weitere Entscheidung in Sachen G36, bis die Ursachenforschung abgeschlossen sei. Im Sommer wird die Beschaffung vorerst gestoppt, eine Expertenkommission aus Vertretern der Bundeswehr, des Bundesrechnungshofs und des Fraunhofer-Instituts sollen Klarheit schaffen. Ende November 2014 schrieb die Süddeutsche Zeitung, dass man im Verteidigungsministerium versucht habe, korrigierenden Einfluss auf Meldungen der Wehrtechnische Dienststelle für Waffen und Munition (WTD 91) in Meppen zu nehmen, die wiederum dem G36 ein schlechtes Zeugnis ausstellten.

Deren Abschlussbericht liegt zwar noch nicht vor, von der Leyen ging aber mit den wichtigsten Schlüssen daraus dennoch schon an die Presse. Fast ein Jahr, nachdem seitens des Verteidigungsministeriums die Rehabilitierungs-Pressemitteilung gekommen war, steht das Sturmgewehr nun also wieder als mangelhaft da. Nach einem Schreiben von Generalinspekteur Volker Wieker an die Kommandeure der Bundeswehr soll das Gewehr in den Einsätzen nun nur noch eingeschränkt genutzt werden. Die Präzisionsprobleme mit dem G36 seien „signifikant größer als bei den untersuchten Vergleichswaffen“. Welche das sind? Und unter welchen Bedingungen geschossen wurde? Womit? Und von wem?

Fragen, die hoffentlich ebenfalls von einer der beiden Kommissionen geklärt werden, die von der Leyen jetzt eingesetzt wurden. Der einen steht Commerzbank-Aufsichtsratsvorsitzender Klaus-Peter Müller vor. Sie soll nach Schwachstellen in der Organisationsstruktur des Ministeriums und der Bundeswehr suchen. Die zweite wird vom Grünen-Politiker Winfried Nachtwei geleitet, der gemeinsam mit dem scheidenden Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus und zwei weiteren Experten prüfen soll, ob Soldaten im Einsatz wegen des G36 gefährdet wurden. Und auch das Echo seitens der Opposition im Bundestag ist natürlich gewaltig: Man behalte sich die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses vor, lassen die Die Linke und die Grünen verlauten.

In der ganzen Diskussion außen vor bleibt die Firma, die das G36 gebaut hat. Seit der ersten erneuten Verlautbarung durch die Verteidigungsministerin zu dem Gewehr hat man in Oberndorf am Neckar mit mittlerweile vier Stellungnahmen zu immer wieder neuen Presseberichten reagiert. Nachdem das Unternehmen jahrelang eher für eine Schweige-Taktik bekannt war, werden jetzt ganz andere Töne angeschlagen – man wehrt sich öffentlich.

So schrieben HK bereits am 30. März: „Trotz mehrfacher Angebote von Heckler & Koch, die auf eine Einbeziehung des weitreichenden und über viele Jahrzehnte hinweg entwickelten Know-Hows des Unternehmens gerichtet waren, hat die Bundeswehr Heckler & Koch in keiner Weise in die Untersuchungen eingebunden. Im Gegenteil kommuniziert die Bundeswehr zum Thema G 36 seit rund einem halben Jahr nicht mit Heckler & Koch über die konkret untersuchten Vorwürfe zum G 36 als weltweit anerkanntes, technologisch führendes Sturmgewehr. Die jetzt verbreiteten Ergebnisse widersprechen diametral den umfangreichen und aufwendigen Prüfungen, die Heckler & Koch angesichts aufkommender Gerüchte über eine angeblich gravierende Zielabweichung der heißgeschossenen oder durch Witterungseinflüsse erhitzten Waffe selbst durchgeführt hat. Diese haben bei sachgerechtem Gebrauch keine maßgeblichen Einschränkungen der Einsatztauglichkeit, insbesondere auch im Vergleich zu anderen Sturmgewehren, ergeben. Heckler & Koch liegen keinerlei Unterlagen zu den aktuellen Vorwürfen vor. Eine dringend gebotene sachliche Prüfung und Stellungnahme zu den angeblichen Ergebnissen der Untersuchungen ist hier insofern nicht möglich. Heckler & Koch erkennt daher keine durch die Bundeswehr ermittelten Negativergebnisse zum Gewehr G36 an, die sich auf eine vermeintlich fehlende Tauglichkeit des Sturmgewehrs zum vorgesehenen Gebrauch beziehen.“

Nur einen Tag später stellen die Schwaben einige Punkte klar:

1)  Alle G36-Gewehre der Deutschen Bundeswehr erfüllen die mit der Bundeswehr vereinbarten sog. „Technischen Lieferbedingungen“, welche die zu erfüllenden technischen Leistungsmerkmale des Gewehrs G36 als Bestandteil des Liefervertrages abschließend normieren und dokumentieren. 

2) Dies wurde durch Abnahme jedes einzelnen der insgesamt 178.000 von den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr genutzten Gewehre G36 durch die Güteprüfstelle der Deutschen Bundeswehr rechtskräftig bestätigt. Insofern sind jegliche Erwägungen bzgl. einer Mängelgewährleistung sachlich und juristisch verfehlt. 

3)  Aus den Pressemeldungen lässt sich ableiten, dass die Bundeswehr inzwischen offensichtlich unter bewusstem Ausschluss von Heckler & Koch in den vergangenen 6 Monaten eigene neue Prüfkriterien definiert haben muss, welche Heckler & Koch bis heute nicht zugänglich gemacht worden sind. 

4) Bis heute hat keine Stelle innerhalb der Bundeswehr Heckler & Koch zu diesen aktuellen Vorgängen kontaktiert oder gar informiert, obwohl das Unternehmen zu jedem Zeitpunkt den offenen Dialog angeboten hat. 

5)  In den letzten Jahren wurde immer wieder von einzelnen Kreisen innerhalb der Bundeswehr behauptet, es gäbe aus dem Einsatz abgeleitete neue Nutzungsszenarien. Sollte dies zutreffend sein, so sind diese Szenarien nach Kenntnis von Heckler & Koch niemals verbindlich in technische Anforderungsparameter übersetzt worden. Vielmehr deuten im Moment viele Indizien darauf hin, dass die für unser Produkt relevanten Parameter fortlaufend willkürlich geändert wurden, um die Diskussion rund um das Gewehr G36 fortführen zu können. 

6) Tatsache ist, es existiert auf NATO-Ebene kein normiertes Prüfverfahren oder gar ein Bewertungskriterium bzgl. der Treffleistung von Handwaffen

a) in heißgeschossenem Zustand
b) bei extrem hohen Umwelttemperaturen
c) bei extremen Unterschieden der Außentemperatur oder sonstiger Klimaschwankungen
d)  bei Sonnenbestrahlung 

7)  Nach Kenntnis von Heckler & Koch waren diese NATO-weit nicht definierten Kriterien bisher auch auf nationaler Ebene in der Bundeswehr nicht bekannt. Einzige Ausnahme bildet der im Frühjahr 2012 in der Bundeswehr erstmals normierte sog. „Einsatznahe Beschusszyklus“ (EBZ), im Rahmen dessen das Gewehr G36 nachweislich und unstreitig eine für ein Sturmgewehr übliche Treffleistung erbringt. 

8)  Wir halten fest, dass Heckler & Koch bei der Klärung der Vorwürfe gegen das Gewehr G36 und den weiteren Untersuchungen von Seiten der Bundeswehr bestenfalls lückenhaft, stets verspätet und in der Regel nicht eingebunden wurde.  



Am 10. April dann die bisher letzte Stellungnahme des Unternehmens:

„Heckler & Koch fordert eine vom Bundesministerium der Verteidigung unabhängige Prüfung und Aufklärung aller Vorgänge bezüglich der G36-Thematik, sowie die kriminaltechnische Überprüfung aller erhobenen Vorwürfe und angeblichen Fachexpertisen durch das Bundeskriminalamt.

Angesichts unserer unternehmerischen Verantwortung als Arbeitgeber von mehr als 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehen wir uns vor diesem Hintergrund inzwischen dazu gezwungen, Amtshaftungsansprüche gegen den Bund wegen der bei Heckler & Koch in den vergangenen Jahren eingetretenen und fortwährenden Rufschädigung und Kreditgefährdung zu prüfen. Diese resultieren nach unserer Auffassung seit dem Jahr 2011 aus den fehlerhaften und einseitigen Versuchsdurchführungen der Bundeswehr zum G36 und den diesbezüglich immer wieder illegal an die Presse lancierten negativen „Geheimberichten“.

Heckler & Koch sieht hier Anhaltspunkte für eine Haftung des Bundes, da diese Sachverhalte offenbar auf unzureichende bzw. fehlende Dienst- und Fachaufsicht nachgeordneter Bundeswehr-Dienststellen, insbesondere der Wehrtechnischen Dienststelle für Waffen und Munition 91 (WTD 91) sowie des Wehrwissenschaftlichen Instituts für Werk- und Betriebsstoffe (WIWeB), zurückzuführen sind. Unter anderem wurden die verwaltungsrechtlichen Grundsätze zum so gennannten „bösen Schein“2 nicht eingehalten. Zudem hat die wiederholte Publikation vertraulicher bzw. im Rahmen des Geheimschutzes eingestufter Unterlagen mit teilweise offensichtlich vorläufigen Ergebnissen nicht abgeschlossener Prüfungen, gravierende Lücken in der Datensicherheit des Bundes offenbart.

Darüber hinaus ist die gerichtliche Erzwingung der Herausgabe sämtlicher Erprobungsunterlagen der Bundeswehr zum G36 an Heckler & Koch aufgrund vertraglicher Nebenpflichten derzeit Prüfungsgegenstand.



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